Heiraten mit Mundschutz

Seit wann sind Sie Standesbeamtin?

Ich war zuerst ab 1994 als Reserve-Standesbeamtin tätig und wurde immer hinzugezogen, wenn besonderen Daten viele Paare in die Trauzimmer gelockt haben. 2001 wurde ich Leiterin des Standesamtes Reinickendorf und habe in den 26 Jahren zahlreiche Trauungen erlebt.

Wie viele Trauungen haben Sie denn in ihrem Berufsleben vollzogen?

Das kann ich nicht ganz genau sagen. Anfangs wurden die Eheschließungen immer noch einzeln gezählt, weil wir Standesbeamtinnen und -beamten für unsere Kleidung eine Aufwandsentschädigung erhielten. Somit weiß ich, dass es von 1994 bis zum Jahr 2000 genau 754 Eheschließungen waren, die ich vollzogen habe. Danach – also seit 2000 – waren es rund 5.600 Eheschließungen. Also kann ich auf insgesamt zirka 6.600 Eheschließungen in meinem Beruf zurückblicken.

Stellt sich eine bestimmte Routine ein, möglicherweise sogar so etwas wie Langeweile? Schließlich laufen Trauungen ja immer nach dem gleichen Muster ab?

Klar wird man mit der Zeit routinierter. Aber ich habe mir immer geschworen: Sollte ich nur noch die Rede runterleiern oder merken, dass ich emotional nicht mehr voll dabei bin, dann bewerbe ich mich woanders. Aber das ist bei mir noch lange nicht der Fall. Mir kommen noch die Tränen, wenn das Brautpaar selbst noch Worte aneinander richtet.

Gibt es Trauungen, an die Sie sich besonders intensiv erinnern?

Ja, definitiv. Eine meiner ersten Trauungen werde ich wohl nie vergessen. Es muss meine dritte oder vierte Eheschließung gewesen sein, und ich war zu diesem Zeitpunkt auch noch sehr unsicher. Da hat der Bräutigam den Junggesellenabschied durchgefeiert und kam sturzbetrunken hier im Rathaus an. Dabei muss er ja in vollem Bewusstsein sein, wenn er „Ja“ sagt. Sonst ist die Ehe hinterher aufhebbar. Ich habe dann meine älteren Kollegen gefragt, was ich machen soll. Wir haben ihm dann Brot und Wasser gegeben und Kaffee infiltriert, um ihn wieder einigermaßen nüchtern zu kriegen. Nach drei Stunden war er dann wieder ansprechbar und wusste, dass es sich um eine Eheschließung handelt. Letztlich konnten wir dann die Trauung durchführen.

Was war Ihre emotionalste Trauung?

Da gab es zwei – eine positive und eine negative. Eine ganz schöne Eheschließung hatte ich vor zwei Jahren. Die zukünftigen Eheleute waren beide etwa Mitte 80. Für beide war es die Jugendliebe, und sie hatten sich vier Jahrzehnte aus den Augen verloren. Auf einem runden Geburtstag eines Freundes haben sie sich durch Zufall wiedergetroffen – und haben dann bei mir geheiratet. Das war sehr rührend, weil sie auch wunderbare Worte aneinander gerichtet haben.

Worum ging es bei der emotional negativen Trauung?

Es ist mir einmal passiert, dass die Braut nicht erschienen ist. Das war ganz dramatisch, denn der Bräutigam hat davon nichts geahnt und wartete mit der ganzen Familie vergebens auf seine Braut. Das war schrecklich und tat mir sehr leid. Alle Standesbeamten waren wirklich schockiert. Einen Tag später kam die Braut dann aufs Standesamt und erklärte mir, sie hätte einen anderen Mann kennengelernt. Aber zum Glück geschehen überwiegend positive Dinge. So habe ich schon Freundinnen und sogar mein Patenkind verheiratet.

Gibt es viele Absagen in Zeiten von Corona?

Viele Paare lassen sich durch die Pandemie nicht abschrecken – nur ein Drittel der Paare sagt ihre Eheschließung ab, die anderen lassen sich trotzdem trauen und verlegen lediglich ihre Feier auf später. Handschuhe und Mundschutz habe ich parat, doch setze ich sie nicht ein. Man wird einfach schlechter verstanden. Um die Menschen dennoch zu schützen, wurden im Trauzimmer Tische und Stühle umgestellt, um den Mindestabstand zu wahren – bei drei Menschen selbst im kleinen Trauzimmer kein Problem.

Ist es in der Corona-Pandemie möglich, in den bezirklichen Außenstellen zu heiraten?

Nein, zurzeit nicht. Es wird wohl auch noch einige Zeit dauern, bis im Landhaus Hubertus, im Feuerwehrmuseum, in der Waldhütte am See oder auf den Fahrgastschiffen MS Havelqueen oder Moby Dick wieder „Ja“ gesagt werden kann.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview Christiane Flechtner

Ariane Schimansky (r.) bei einer Trauung Fotos (2): fle

Inka Thaysen

Ursprünglich beim Radio journalistisch ausgebildet, bin ich seit Ende 2018 für den RAZ Verlag tätig: mit redaktionellen sowie projektkoordinativen Aufgaben für print, online, Social Media und den PR-Bereich.