RAZ. Ein Begriff. Zwei Medien.

Eine Frau hält ein weißes Kleinpferd am Halfter. Auf dem Rücken des Schimmels sitzt ein Mädchen mit rosa Jacke.
Foto: fle

Kein Platz mehr für Hedi und Kiki 

Reiterverein und weitere Pächter am Waidmannsluster Damm sollen Schule weichen

Die Stimmung passt zum Wetter: Der Himmel ist grau, und die Regentropfen fallen auf den Boden des Ländlichen Reitervereins Tegel (LRV Tegel) am Waidmannsluster Damm 10. Sandra Ehlers schaut über das rund 12.000 Quadratmeter große Gelände, auf dem die Pferde friedlich dösen. „Im vergangenen Jahr haben wir unser 40-jähriges Bestehen gefeiert – und am 27. Dezember hatten wir unsere Kündigung auf dem Tisch“, sagt die Schatzmeisterin traurig. Doch nicht nur beim Reiterverein ist die Stimmung mies, sondern auch bei den Pächtern nebenan: Das Reisemobil Zentrum Berlin am Waidmannsluster Damm 12-14, ein idyllischer Campingplatz für Wohnmobil, Wohnwagen oder Zelt, die daneben befindliche Wendt Haus GmbH mit ihrem Sortiment an Gartenhäusern sowie „Marian`s Imbiss“ an der Hausnummer 18 erhielten ebenfalls eine Kündigung.

Neue Förderschule geplant

Der Grund: Der Bezirk plant auf dem großen Areal ab 2017 den Bau eines Förderzentrums mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt „Geistige Entwicklung (GE)“. Dies sei dringend notwendig und unverzichtbar, denn im Bezirk bestehe ein akutes Platz-Defizit.

Reiterverein bangt um seine Zukunft

„Unser Verein ist eine grüne Oase, und wir sind wie eine große Familie“, erklärt Ehlers. Dabei sei der LRV Tegel nicht der klassische Leistungssportbetrieb. So gibt es lediglich eine Angestellte, einige Trainer und Stallkräfte – ansonsten kümmern sich die rund 100 Mitglieder und ihre Familien ausschließlich ehrenamtlich um die 18 Pferde und den Reitbetrieb. Der großen Hilfe von aktiven Mitgliedern und Eltern sei zu verdanken, dass der Verein sich stetig weiterentwickelt. Ob es sich dabei um einen Anbau handelt oder die Reparatur des Daches – viele Hände fassen mit an und stemmen die Hürden gemeinsam. „Wir haben hier etwas Besonderes geschaffen, und das wollen wir bewahren – vor allem in Zeiten, wo es in kulturellen und sozialen Bereichen viele Kürzungen gibt“, sagt Vereinsmitglied Nina Klein. Ihre Tochter Hedi hat hier reiten gelernt, die Kleine liebt diesen Ort. „Ich will mein Lieblingspferd Kiki weiter reiten. Hier ist es toll“, sagt die Sechsjährige.

Kündigung kam überraschend

Dass dieses Areal allerdings als möglicher Schulstandort gilt, war kein Geheimnis, wie die Schatzmeisterin erzählt: „Wir wussten, dass hier einmal eine Schule hinkommen könnte, und vor drei Jahren wurden erste Pläne laut. Allerdings stand da keine Kündigung im Raum, sondern wir hätten lediglich eine kleine Fläche abgeben müssen.“

„Kiez profitiert von Besuchern“

Michael Michalk soll seinen Campingplatz aufgeben, Foto: fle

„Man darf mich nicht falsch verstehen: Ich bin absolut für den Bau von Förderschulen, aber die Kinder hier auf unserem Hof werden auch intensiv gefördert – und das darf man doch nicht dafür opfern und kaputt machen“, sagt Ehlers. Zudem habe der Bezirk dem Verein immer wieder versprochen, dass man den Mitgliedern bei einer Kündigung mindestens zwei Jahre Zeit gäbe, neue Flächen zu finden und umzuziehen. „Nun sollen wir bis zum 31. Dezember 2025 weg sein. Wie sollen wir das schaffen mit 18 Pferden, Boxen und Reithalle? Wo sollen wir hin?“ fragt sie. In Lübars stehe ein leerer Reiterhof zum Verkauf, aber mit rund 6,5 Millionen Euro für den LRV niemals realisierbar.

Campingplatz-Inhaber ebenfalls betroffen

Auch die anderen Pächter des Areals sind frustriert: „Für mich ist das eine Katastrophe“, erklärt Michael Michalk, Inhaber des Reise Mobil Zentrum Berlin. „Ich habe den Campingplatz 2022 übernommen und weit über 100.000 Euro investiert, damit sich die Camper wohlfühlen“, sagt er. „Und sie alle kaufen in der Umgebung ein, gehen zum Getränkemarkt, zum Imbiss oder zum Abendessen nach Alt-Tegel. Der Kiez profitiert von den Besuchern, und es gibt weit und breit keine Alternative für Wohnmobil- und Zeltcamper“, sagt er.

Keine alternativen Flächen für Schulbau?

Doch warum gibt es keine anderen Flächen, die in Frage kämen? Dennis Plath, Sprecher der Abteilung Bildung, Sport, Kultur und Facility Management im Bezirksamt Reinickendorf, erklärt: Die Fläche müsse sich im Landeseigentum befinden, denn im Sinne der Wirtschaftlichkeit sollen keine Flächen angekauft werden. Doch geeignete Brachflächen in der benötigten Größe von rund zwei Hektar seien nicht vorhanden. Es gäbe auch keine geeigneten Gebäude, um den dringend benötigten zusätzlichen Bedarf an GE-Schulplätzen auszugleichen.

Machbarkeitsstudie bestätigt Standortwahl

„Der Bezirk hat im Juni 2023 eine Machbarkeitsstudie extern beauftragt, um die Eignung des Grundstückes für die Errichtung eines Förderzentrums – zunächst für das Grundstück des Wohnmobil-Campingplatzes am Waidmannsluster Damm 12/14 – in Varianten zu prüfen“, sagt Plath. Die Studie hat ergeben, dass die für den geplanten Schulbau benötigten Flächen nur durch die zusätzliche Inanspruchnahme des Grundstückes Waidmannsluster Damm 10, auf dem sich der Reitverein befindet, nachgewiesen werden können“, fügt er hinzu.

Alternative Standorte umstritten

Michalk nennt den Friedhof als Ausweichfläche: Es gäbe Jahr für Jahr Gräber, die eingeebnet würden, und mehr und mehr Flächen auf den Friedhöfen, die frei seien. Auch darüber könne man nachdenken. Zudem gäbe es eine nahe gelegene Lagerfläche für Grünschnitt- und Bioabfälle des Grünflächenamtes als möglichen Standort – doch die lehnt der Bezirk ab: „Das Straßen- und Grünflächenamt benötigt die Lagerfläche für den Grünabfall des gesamten Bezirks. Ein Alternativstandort dafür konnte nicht gefunden werden“, erklärt Plath.

Zukunft ungewiss

Zwar sind im Investitionsprogramm 2023-2027 des Landes Berlin insgesamt 81 Millionen Euro für die Maßnahme vorgesehen. Aber: „Eine Garantie der Realisierung gibt es nicht“, sagt Plath.

Der Reiterverein jedenfalls hat Widerspruch gegen die Kündigung eingelegt. Alle Betroffenen hoffen, dass es noch eine andere Lösung gibt, damit gut funktionierende Strukturen erhalten bleiben können.

Christiane Flechtner

Christiane Flechtner ist seit mehr als 30 Jahren als Journalistin und Fotografin in Reinickendorf und auf der ganzen Welt unterwegs. Nach 20 Jahren bei der Lokalzeitung Nord-Berliner ist sie seit der ersten Ausgabe mit im Team der Reinickendorfer Allgemeinen Zeitung und anderer Verlagsmedien. Sie arbeitet außerdem als freie Journalistin und Fotografin bei „Welt“, Berliner Zeitung und anderen Zeitungen in Deutschland, Österreich und Luxemburg sowie für u. a. Reise-, Wander- und Tiermagazine.