Zwei Männer sitzen mit Protestplakaten in einem roten Zelt
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Kleinkleckersdorfer kämpfen weiter

Mehr als eine Dekade in Angst! Angst, das Zuhause zu verlieren, ausziehen zu müssen aus der Wohnung, in der man 30 oder 40 Jahre gelebt hat oder in der man sogar geboren ist. Das ist der schreckliche Alltag der Mieter der Siedlung am Steinberg, die auch Kleinkleckersdorf genannt wird. Denn seit die 1920 entstandene, denkmalgeschützte Siedlung vom Land Berlin als Teil der GSW im Jahr 2010 an die „Am Steinberg Entwicklungsgesellschaft mbH“ verkauft wurde, weht ein ungemütlicher Wind durch die Straßen. Als „Stonehill Gardens“ sollten die kleinen Häuser in den Straßen Kehrwieder, Am Brunnen, An der Heide und Am Rosensteg nach einer umfassenden Modernisierung verkauft werden – für bis zu einer Million Euro pro Haus. Einige Mieter der insgesamt 62 Wohneinheiten sind bereits ausgezogen, andere mittlerweile verstorben. Doch die restlichen Mieter wollen nicht weichen – und widersetzen sich vehement der Verdrängung durch die Modernisierung.

„Steinberg kämpft“, „Zieht der Luxus ein ins Haus, fliegen hier die Mieter raus“ und andere Transparente hängen rund um den kleinen roten Pavillon. „2.800 Tage Dauerdemo“ steht auf einem Transparent, und gleich daneben halten zwei Mieter unter dem Pavillon Mahnwache am Haus Kehrwieder 1.

Es ist das Haus von Hans-Hartmut Lenz, dem Sprecher der Mieterinitiative. Der 71-jährige ist Oma Annis Sohn, jener Mietrebellin, die noch mit 95 Jahren den Immobilienprofiteuren erfolgreich Paroli bot und Ende 2016 verstarb. Hans-Hartmut Lenz ist in dieser Wohnung, in dem seine Mutter 65 Jahre gelebt hat, geboren und aufgewachsen. Seit 2010 kämpft er gemeinsam mit seinen Nachbarn um den Erhalt des eigenen Zuhauses. „Unsere Dauerdemo dauert nun schon viel länger als die in Rot gemalten 2.800 Tage, doch mittlerweile erneuern wir das nicht mehr täglich“, sagt er. Mehr als 4.000 Tage sind es nun schon, seit sich die Anwohner für den friedlichen Protest entschieden haben. Auch Manfred Moslehner sitzt wieder hier. Er ist vor 83 Jahren im Haus Nummer 3 der Straße Am Brunnen geboren worden – und hätte sich nicht träumen lassen, dass er hier möglicherweise noch ausziehen muss.

„Wir Moslehners bewohnen die Wohnung seit fast 100 Jahren, meine Eltern zogen ein, kurz nachdem die Häuser bezugsfertig waren“, sagt Manfred Moslehner und schaut wieder in sein Rätselheft. Nun muss er um sein Zuhause bangen, denn es soll modernisiert werden – und mit der Modernisierung steigt die Miete. Ein Banner vor seiner Wohnungstür mit der Aufschrift: „Nach 83 Jahren soll ich nun raus“ macht das deutlich. Neben ihm im Protest-Pavillon sitzt Olaf Prigge, seit 1989 Mieter in der Straße am Rosensteg 2. „Auch meiner Wohnung droht die Modernisierung und danach eine Mieterhöhung“, sagt er.

Doch die Anwohner wehren sich – und haben bis heute viele kleine Siege errungen. Beispielsweise im Dezember 2017: Da hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe (BGH) zugunsten der Mieter der kleinen Reihenhaussiedlung entschieden und stoppte somit eine Vervierfachung der monatlichen Kaltmiete. Und das war nicht die einzige Gerichtsverhandlung. Dem kleinen gallischen Dorf von Asterix und Obelix gleich, sich zu widersetzen, machen es auch die Anwohner von Kleinkleckersdorf. Rückblick: Angefangen hat alles kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Einfacher Wohnraum für Kriegswitwen und Invaliden wurde dringend gebraucht, und die Gemeinde Tegel beschloss, eine Kleinhaussiedlung mit einfachem und preisgünstigem Wohnraum zu errichten. 1919/1920 wurde die Siedlung am Steinberg durch den Berliner Architekten Ernst Hornig gebaut. In den Wohnungen wohnten früher mehrere Generationen, in den Anfangsjahren noch mit Untermietern. Ein Bad gab es nicht, gekocht wurde auf dem Kohlebeistellherd.

Natürlich gibt es mittlerweile Bäder und Heizungen in den Wohnungen, die mit Genehmigung des damaligen Eigentümers von den Mietern selbst eingebaut wurden. Seitdem werden die Wohnungen größtenteils von Generation zu Generation weitergegeben. Wer „erst“ vor 30 Jahren zugezogen ist, gilt hier als Neuling.

Wie sich die „Am Steinberg Entwicklungsgesellschaft mbH“ die neuen Zeiten in den „Stonehill Gardens“ vorstellt, kann man sich an den bereits umgebauten Häusern in der Siedlung anschauen. Terrasse mit großer Fensterfront, Kamin, Fußbodenheizung Swimmingpool – so exklusiv kann man nun unter 100 Jahre alten Obstbäumen wohnen, schreibt das Unternehmen auf seiner Website. Man habe das Ensemble aus dem Dornröschenschlaf erweckt. Für rund eine Million Euro werden die Häuschen an Kapitalanleger und Eigennutzer verkauft. Mietpreis: über 3.600 Euro.

Doch freiwillig ausziehen wollten die alteingesessenen Mieter auf keinen Fall. „Dieses kleine Paradies gibt man doch nicht so einfach auf“, sagt Lenz und blickt von seiner Veranda auf den Garten. Er wurde hier geboren, seine Großeltern bezogen 1920 die Wohnung. Hier trafen sich die Nachbarn bis vor kurzem noch jeden Sonntag zu Kaffee und Kuchen. „Wir sind eine tolle Gemeinschaft und kümmern uns umeinander“, sagt er. Und das soll nicht verloren gehen. „Wenn wir Mieter nichts getan hätten, wären wir heute schon nicht mehr hier.“

Auch Edith Franke kämpfte um ihr Zuhause, das noch im Originalzustand war – samt Badeofen und Holzofen in der Küche. Doch dann sollte eine Modernisierung erfolgen. Als eine der ersten wurde sie auf Duldung der Modernisierung verklagt, ihre Miete sollte um 1.667 Euro monatlich steigen. Die Mieterinitiative hat sie bei ihrem Kampf vor Gericht unterstützt – und das Gericht gab ihr Recht. „Vor Kurzem ist sie gestorben, und nun steht das Haus leer“, sagt Lenz.

Auch wenn der lange Kampf zermürbend für die meist hoch betagten Mieter ist – die Mieterinitiative wird nicht weichen und nicht aufgeben.

fle

Inka Thaysen

Ursprünglich beim Radio journalistisch ausgebildet, bin ich seit Ende 2018 für den RAZ Verlag tätig: mit redaktionellen sowie projektkoordinativen Aufgaben für print, online, Social Media und den PR-Bereich.