Ein altes Radiogerät vor einer Parklandschaft; eine Reihe Musik-Noten im Vordergrund
Stunden des Hörers: Koffersounds anno 1965 Fotocollage: du

Kofferheule & Schmalzbohrer

Historisches Ein Alt-Reinickendorfer erinnert sich

„Rennst Du jetzt auch schon mit ner Kofferheule rum?“, so fragte mich mein auf Ostrentner-Besuch in der Klamannstraße weilender DDR-Opa Albert und angesichts meines ersten tragbaren Sechstransistor-Radios etwas spöttisch.

In der Tat: Die Bezeichnung „Koffer“ wäre bis Anfang der Sechziger Jahre noch voll berechtigt gewesen. Es existierten bis dato noch sauschwer tragbare Röhren-Radios, aber Mitte der Sechziger kamen als Abfallprodukt des Raumfahrt- und Rüstungs-Wettlaufs erste leichtgewichtige Transistor-Radios auf. Anfangs Zweitransistor- dann Sechstransistor-bestückt bis hin zu den klangvoll benamsten Outdoor-Flaggschiffe wie dem Grundig Music Boy oder Telefunken Bajazzo. Derart schicke und für mich als Schüler unbezahlbare Geräte konnte ich übrigens immer in den Schaufenstern von Radio Neumann am Schäfersee und Küchler am Kurt-Schumacher-Platz bewundern. 

Beim Technik-Krämer Atzert in der Nähe des Potsdamer Platzes habe ich für 25 Mark mein erstes tragbares amerikanisches Batterie Spulen-Tonband (wohl eher ein Primitivst-Diktiergerät) erstanden. Im dunkelrotem Bakelit-Gehäuse mit 2,38 Schnecken-Geschwindigkeit klang es furchtbar jaulig, aber fürs Abspielpauken vorher selbst aufgesprochener Latein-Vokabeln während des Halbschlafs reichte es.

Doch was in der drangvollen Enge der elterlichen Zweizimmer-Sozialwohnung in der Klamannstraße kaum möglich war, war das zugegebenermaßen ziemlich plärrig klingende Lauthören von Deep Purple oder den Rolling Stones. Deshalb ging ich im elterlichen Haushalt auf die Suche nach Kopfhörern und machte die schmerzvolle Erfahrung, dass die alten schwarzen Bananenstecker-Kopfhörer aus womöglich Vorkriegs- oder DDR-Gründungszeiten mangels Stecker und sehr viel höherer Impedanz nicht an meinen modernen Geräten zu verwenden wären. Die erforderten allesamt eine Impedanz von acht Ohm sowie einen Klinkenstecker. In dieser Hinsicht passend war ein kleiner Vorläufer eines in-Ohr-Hörers, der natürlich nur für Mono-Wiedergabe vorgesehen war und von Opa Albert als „Schmalzbohrer“ verhohnepipelt wurde.

Erst diverse Innovations-Jahre später kamen die Compact-Kassettenrecorder und dann noch später der Durchbruch in Sachen Personal Stereo mit Sonys „Soundabout“, dem späteren weltweit-Verkaufsschlager „Walkman“. Er war aus der Lauthör-Not japanischer Teenager in hellhörigen Mehrgenerationen-Wohnungen geboren. 

Doch was und wann hörte ich inzwischen Oberschüler mit meinen Transistor-Radios seinerzeit? Da es noch keine Abruf-Mediatheken gab, galt beim Hörfunk: Es wird dann gehört, wenn es aus dem Äther auf den Tisch kommt. Und das waren in meiner Jugendzeit Sonntagnachmittags die „Top Twenty“ vom britischen Soldatensender BFBS und Sonntagabends „Wir um zwanzig“ vom SFB. Werktags gab‘s in Sachen Aufbruch und Jugendkultur seit 1967 ab 18:00 Uhr „SFB-Beat“, einem programmatischen Vorvorläufer der Formate von Radio Eins.

Wer weiß, wie mein Opa Albert diesen für viele noch unerhörten Rock-, Pop- und Reportagen-Mix wohl tituliert hätte?

Conny Chronowitz 

Inka Thaysen

Ursprünglich beim Radio journalistisch ausgebildet, bin ich seit Ende 2018 für den RAZ Verlag tätig: mit redaktionellen sowie projektkoordinativen Aufgaben für print, online, Social Media und den PR-Bereich.