RAZ. Ein Begriff. Zwei Medien.

Mann
Foto: Kurt Gruhlke

Leerstelle auf der Insel Scharfenberg

Der Schock sitzt tief bei Schülern, Eltern und dem Kollegium. Innerhalb einer Woche ist die noch heile Welt der Schulfarm Insel Scharfenberg eingestürzt. Matthias Völzke, seit zweieinhalb Jahren kommissarischer Schulleiter an der Schule, musste sein Büro räumen und gehen.

„Wie einige von Ihnen schon aus den Medien erfahren haben, war es dem heute aus seinem Amt scheidenden Staatssekretär für Bildung, dem Abteilungsleiter für die beruflichen und zentralverwalteten Schulen sowie der seit Jahren die schulaufsichtlichen Belange der Schulfarm Insel Scharfenberg verantwortenden Referatsleiterin für zentralverwaltete Schulen offenbar ein dringliches Anliegen, binnen Wochenfrist meine Versetzung an eine ISS in Berlin-Moabit anzuordnen und meine Beauftragung als kommissarischer Schulleiter der Schulfarm Insel Scharfenberg ab dem kommenden Montag, 1. Mai 2023, zu widerrufen“, schrieb Völzke am 28. April in einer Mail an die Schulgemeinschaft der Schulfarm Insel Scharfenberg zur Erklärung und zum Abschied.

Eine Woche hatte Völzke Zeit, sein Büro zu räumen, letzte Formalitäten abzuarbeiten und die Insel zu verlassen. Doch wer einen herausragenden Job macht, sollte doch gefördert und nicht abgesägt werden – oder etwa nicht?

Zumal – es ist kein neuer Schulleiter in Sicht. Im Gegenteil, das entstandene Vakuum wird nun notdürftig gefüllt: Völzkes Aufgaben muss nun erst einmal der stellvertretende Schulleiter Olaf Tresper übernehmen. Ab Ende des Monats wird er von Dietrich Kruse unterstützt, einem pensionierten Schulleiter, der an einer Berufsschule tätig war und bereits als Pensionär zur „Rettung“ der Ballettschule eingesetzt worden ist.

Für die Vorstandsvorsitzende der Gesamtelternvertretung (GEV), Caroline Cordua, ist die Entscheidung nicht nachvollziehbar. „Fakt ist doch, dass es überhaupt keinen Anlass gibt, Herrn Völzke von der Schule abzuberufen. Er hat sich weder etwas zuschulden kommen lassen noch ist irgendetwas schiefgelaufen, was dieses Verhalten der Behörde rechtfertigen könnte.“ Sie glaubt: „Hier geht es um interne Politik und Fakten-Schaffen vor dem Machtwechsel im Senat.“

Es sei den Schülern, dem Kollegium und der Schulleitung gegenüber absolut rücksichts- und verantwortungslos, eine funktionierende Schulleitung während des Abiturs ohne Not zu deinstallieren. „Wir sind so sprachlos und finden kaum Worte für das, was in den vergangenen zwei Wochen geschehen ist“, fügt sie hinzu.

Die 1922 von Wilhelm Blume gegründete Schulfarm ist heute ein staatliches Ganztagsgymnasium mit Internat und bietet ein besonderes Schul- und Ganztagsprofil an, das unter anderem Wassersportaktivitäten und naturnahes Lernen einschließt. Eine Fähre verbindet das Eiland mit Festland. Die Schule gehört wie die Nelson-Mandela-Schule und die Ballettschule zu einer der elf zentralverwalteten Schulen in Berlin.

Wer das erste Mal mit der Fähre nach Scharfenberg übersetzt, der wird eine kleine Idylle vorfinden: Eine bewaldete Insel mitten im Tegeler See, Pferde, Schafe und Rinder und mittendrin eine kleine Schule. Doch die Inselidylle trügt. Denn es werden immer wieder Entscheidungen von außen getroffen, die weder die Lehrer- noch die Eltern- und Schülerschaft verstehen können.

Vor zweieinhalb Jahren wurde Matthias Völzke als kommissarischer Leiter an die Schule geholt, nachdem diese bereits über ein Jahr ohne Schulleiter funktionieren musste. So hatte der Heiligenseer damals sehr kurzfristig, von außen kommend und nur für eine Lehrerbesoldung die Schule in einer schwierigen Situation übernommen – und habe „durch sein Engagement und seine Art der Kommunikation das kleine Wunder vollbracht, die gesamte Schulgemeinschaft – das Kollegium, die Schüler und die Eltern – hinter sich zu bringen“, heißt es in einem Schreiben der Gesamtelternvertretung. Er habe den Informationsrückstand in kürzester Zeit aufgeholt und sei umgehend die dringenden Themen wie sichere Zuwegung per Fähre, unbesetzte Stellen abgeordneter Lehrerinnen und Lehrer und fehlerhafte Personallisten angegangen – und war ein konstruktiver Gesprächspartner für die Schulaufsichtsbehörde. Die Eltern, Lehrer und Schüler haben versucht, bei Treffen mit der Schulaufsichtsbehörde und Schreiben an selbige und die Senatorin, die kommissarische Stelle von Matthias Völzke in eine reguläre zu wandeln – ohne Erfolg.

Die Stelle wurde neu ausgeschrieben, und auch Matthias Völzke hatte sich darauf beworben. Allerdings zog die Schulaufsichtsbehörde den Kandidaten, der seit zwei Jahren seine Eignung unter Beweis gestellt hat, für die Stelle nicht in Betracht. Eine Begründung gab es nicht.

Und so begannen alle, sich für den „Neuen“ einzusetzen: Im September vergangenen Jahres kämpfte die Schule um „ihren Herrn Völzke“ und organisierte eine Demo. Der Tag für die Demo war nicht zufällig gewählt, denn an diesem Tag sollte der Schulkonferenz der von der Schulaufsichtsbehörde favorisierte Schulleiter-Kandidat vorgestellt werden.

„Wir möchten verhindern, dass eine Behörde systematisch engagierte Menschen demoralisiert und die letzte Illusion zerstört, dass Berlin für unsere Kinder und deren Bildung eine Zukunft bietet“, erklärte eine Demo-Teilnehmerin. „Eine der schönsten Schulen Berlins wird von der Schulaufsichtsbehörde offensichtlich abgeschrieben. Für die Schülerschaft, die Eltern und das Kollegium ist das frustrierend und traurig“, heißt es in einem Schreiben der GEV zur Demo.

Der Vorgang um Völzke sei nach Ansicht von Caroline Cordua „skandalös und steht in der Tradition der jahrelangen Missachtung der Schule und deren Wünschen und Bedürfnissen und ist ein weiterer trauriger Höhepunkt, die schulischen Belange durch immer dieselben handelnden Personen zu ignorieren.“ Ein neuer Schulleiter wäre nun der Dritte in vier Jahren.

am Schulwohl – und die Ohnmacht der rund 900 Eltern, 450 Schüler und den 80 Mitarbeitenden der Schule, die diesen beiden im Amt handelnden Personen vollkommen ausgeliefert sind. Es erscheint fast so, als ob im Öffentlichen Dienst anscheinend die Öffentlichkeit kein Mitspracherecht hat.“

Die GEV wendet sich nun an die neu gewählte Schulsenatorin Katharina Günther-Wünsch, mit der sie bereits in Kontakt getreten war, als sie noch Bildungspolitische Sprecherin der CDU im Abgeordnetenhaus war. „Sie hat uns damals sehr genau zugehört, viel Verständnis für unsere Situation gezeigt und uns unterstützt. Wir sehen einem Gespräch zuversichtlich entgegen und hoffen, die so überstürzte Entscheidung des aus seinem Amt geschiedenen Staatssekretärs für Bildung, des Abteilungsleiters für die beruflichen und zentralverwalteten Schulen und der verantwortlichen Referatsleiterin für zentralverwaltete Schulen rückgängig machen zu können. Wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben, dass Herr Völzke zurückkommt – und dann als regulärer Schulleiter mit angemessener Besoldung weiter hier tätig sein darf.“

Falls dies nicht erreicht werden kann, dringt die GEV darauf, dass das Verfahren abgebrochen und die Schulleiterstelle erneut ausgeschrieben wird, deren Ausschreibung auch zum Schulprofil passt. „Das war leider in der Vergangenheit nicht der Fall. So konnten sich Menschen bewerben, deren Kompetenzen nicht den schulischen Bedarfen entsprechen.

„Wenn ich einen Konditor suche, dann mache ich doch auch keine Stellenbeschreibung für einen Koch, oder? Das kann doch dann schief gehen“, sagt Cordua. Eine Stellungnahme aus der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie hat die RAZ auf ihre Nachfrage bisher nicht erhalten.

fle

Inka Thaysen

Ursprünglich beim Radio journalistisch ausgebildet, bin ich seit Ende 2018 für den RAZ Verlag tätig: mit redaktionellen sowie projektkoordinativen Aufgaben für print, online, Social Media und den PR-Bereich.