Die Nähmaschine rattert leise vor sich hin, zwischendurch hört man die Schere, die Stück für Stück den bunten Stoff schneidet. Und im Hintergrund kratzt der Stift beim Schreiben auf Papier. Im Kultur- und Dialograum M5 in der Markstraße 5 wird eifrig gearbeitet. Die Frauen sind in ihre Tätigkeit vertieft, jeder Handgriff sitzt. Und dann sind sie fertig: Kleine Kissen in Herzform, die später an von Brustkrebs betroffene Frauen verteilt werden, um ihnen nach der schweren Operation eine kleine Freude zu bereiten und ihre Schmerzen ein wenig zu lindern.
Pro Jahr erhalten in Deutschland etwa 70.000 Frauen die Erstdiagnose Brustkrebs. Ein großer Schock, der die Frauen erst einmal komplett aus der Bahn wirft. Für viele ist eine Operation letztlich unausweichlich; diese ist allerdings anschließend im Heilungsprozess oftmals mit starken Wundschmerzen verbunden. Um diese zu lindern, helfen eben diese Herzkissen, die zur Entlastung des Arms unter die Achsel geklemmt werden.
„Das Herzkissen-Projekt ist keine Idee von uns, das Projekt gibt es seit 2007 in Deutschland“, erklärt Bettina Winkelmeier vom Verein Lette-Nachbarn e. V. „Wir haben mit unserem Herzkissen-Projekt im März begonnen und treffen uns seitdem alle zwei Wochen zum Nähen.“ Rund 200 Kissen hat das Näh-Team nun bereits gefertigt – für Patientinnen im Waldkrankenhaus in Spandau und im Klinikum Buch.
„Ohne mich läuft nichts“, ruft Bärbel Müller (Foto) in den Raum. Klar, ist sie doch für den allerersten Arbeitsgang zuständig – das Zuschneiden des Stoffs. Sie kommt alle zwei Wochen aus Hohenschönhausen nach Reinickendorf. „Der lange Fahrtweg macht mir nicht aus, denn wir sind hier ein super Team, und das Projekt ist mir eine echte Herzensangelegenheit“, sagt sie.
Ganz hinten sitzt Waltraud Delor an einer Nähmaschine und näht die Stoffe zusammen. „Das ist unsere Chefnäherin“, sagt Bettina Winkelmeier und übertönt mit ihrem Lachen das Rattern der Nähmaschine. Waltraud Delor lässt der Spruch kalt – denn eigentlich stimmt er auch. Schließlich hat sie Damenschneiderin gelernt. „Ich habe meinen Beruf geliebt“, erklärt die mittlerweile 81-Jährige. Schon im zarten Alter von zehn Jahren habe sie mit der Hilfe ihrer Großmutter ein Kleid für ihre Schwester genäht. „Und jetzt freue ich mich, dass ich hier die Herzkissen nähen kann.“
Vom Nähen hat Marlis Rautenstrauch keine Ahnung, denn sie hat in der Tourismusbranche gearbeitet und liebt Sprachen. „Außerdem schreibe ich sehr gerne – vor allem Gedichte. Und so nehme ich auch gern mal Auftragsarbeiten an“, sagt sie. Hier in der Runde schreibt sie kleine selbstgefertigte Grußkarten an die unbekannten Frauen. Diese kommen dann mit dem Herzkissen in den selbstgenähten Sack. „Das Kissen ist ein kleiner Schatz und findet sicher seinen Platz. Es schmiegt sich an, ist leicht zu tragen und hilft in diesen schweren Tagen“, schreibt sie mit rotem Stift auf die Klappkarte. 28 Stück hat sie heute schon geschrieben. Hinten darf der Absender nicht fehlen, denn einige der Frauen wollen sich für das Geschenk bedanken.
Bettina Winkelmeier reicht einen Brief, der von einer Patientin aus dem Waldkrankenhaus Spandau geschickt wurde. Eine Frau schreibt darin: „Am Abend vor der OP brachten mir die Schwestern ihr so schönes ‚Trost-Pflaster‘ – ein Herz-Kissen mit grüner Rückseite und vielen bunten kleinen Äpfeln auf der Vorderseite. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr ich mich in der Situation gefreut habe.“
Diese Dankeskarte hat die nähenden Frauen sehr berührt. „Wir haben auch von den Krankenhaus-Mitarbeitern erfahren, dass die Frauen sehr dankbar sind, und manche sind zu Tränen gerührt, wenn sie ein solches Kissen erhalten. Und aus diesem Grund machen wir das“, sagt Winkelmeier.
Am Fenster sitzt Manuela Schubert und stopft die Kissen mit der Füllung aus. Dann kommt Bettina Winkelmeier an die Reihe und näht das Kissen komplett zu. Herzkissen und Grußkarte verschwinden dann im selbstgenähten Säckchen, das anschließend auf die Reise in Richtung Krankenhaus geht.
Die Gruppe freut sich übrigens über weitere Mitstreiterinnen: Wer am Herzkissen-Nähprojekt teilnehmen möchte, kann sich per Mail bei Bettina Winkelmeier unter b.winkelmeier@gmx.net melden oder am 2. oder 4. Mittwoch im Monat von 9 bis 12 Uhr ins M5 kommen.
Text und Foto: fle