RAZ. Ein Begriff. Zwei Medien.

Ein Mann sitzt in einer Kantine
In der Kantine hat Marvin Schulz ein Plätzchen schon gefunden.Foto: bs

„Packt mich dahin, wo Platz ist“

Marvin Schulz aus Reinickendorf ist ein Neuling im Bundestag und lebt sich im Hohen Haus ein

An einem wichtigen Tag lädt der neue, direkt gewählte Reinickendorfer Bundestagsabgeordneter Marvin Schulz (CDU) in seine zukünftige Wirkungsstätte ein. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD soll im großen Scheinwerferlicht verkündet werden. Der Ansturm auf den Eingang des Paul-Löbe-Hauses ist enorm. Die Sicherheitsschleuse wird für Minuten von einem Kameramann des ZDF blockiert, der seine umfangreiche Ausrüstung untersuchen lassen muss. Der RAZ-Reporter gibt sein Taschenmesser ab. 

Hinter der Sicherheitsschleuse empfangen die ersten beiden Mitarbeiter von Schulz den Gast. Tony Kowal ist sein Büroleiter im Bundestag. Cassandra Hoffmann steht seinem Wahlkreisbüro in Reinickendorf vor und sitzt dort auch in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Sofort klingelt das Handy von Kowal: „Der Chef“ ist dran. Er kommt nicht ins Paul-Löbe-Haus, weil er seinen Ausweis nicht dabeihat. Kowal ist ein alter Hase im Geschäft. Seit 2016 arbeitet er für verschiedene Bundestagsabgeordnete und kennt alle Schleichwege. 

Er lotst den Neuling Schulz über das Jakob-Kaiser-Haus zu der Verabredung in einer Cafeteria. Schulz hat noch kein endgültiges Büro, und das Provisorium lediglich mit „Schreibtisch und Stuhl“ möchte er nicht vorzeigen. Er erzählt, er habe der Bundestagsverwaltung auf ihre Nachfrage gesagt: „Packt mich dahin, wo Platz ist. Hauptsache, ich kann arbeiten.“ Spätestens Ende Mai soll es so weit sein. Es gibt aber noch einiges mehr zu entscheiden – vor allem, in welchen Ausschuss er kommt.

Schulz möchte gern in den Digitalausschuss. Mit seinen gerade einmal 30 Jahren will er sich diesem Zukunftsthema widmen. Politische Erfahrung hat er in den vergangenen Jahren als CDU-Fraktionsvorsitzender in der BVV von Reinickendorf gesammelt. Er will sich weiterhin um die Entwicklung von dem Projekt TXL auf dem ehemaligen Flughafen Tegel kümmern, das seiner Meinung nach weit über die Stadtgrenzen von Berlin Bedeutung habe. Aber nun muss er erst einmal im Bundestag so richtig ankommen. 

Gleich zu Anfang gab es für die etwa 60 neuen CDU-Bundestagsabgeordneten ein dreitägiges „Bootcamp“ von der Fraktion als Trainingslager. Es wurden die Arbeitsprozesse im Parlament erklärt und erste Bekanntschaften geknüpft. Die Kollegen und Kolleginnen seien alle „hilfsbereit“, fast „familiär“ gehe es zu. Seine beiden Angestellten Hoffmann und Kowal duzt er. Auch auf die anderen Bundestagsabgeordneten der CDU sei er per Du zugegangen: „Bisher hat mir dafür noch keiner auf die Finger gehauen.“

Noch ein weiterer Abgeordneter aus Reinickendorf ist neu in den Bundestag eingezogen. Es ist Sebastian Maack von der AFD, der über die Liste sein Mandat erhalten hat. Ihm würde Schulz nicht so herzlich entgegentreten. Wenn er ihm auf dem Gang begegnet, würde er ihn zwar grüßen und „kurz die Hand schütteln“, ansonsten aber keinen Kontakt suchen. Schulz möchte für TXL und den Bezirk Reinickendorf eine Art „Markenbotschafter“ sein – und spricht ganz selbstverständlich vom „schönsten Bezirk Berlins“.

Er will sich nicht „verzetteln“. Schulz sieht die Digitalisierung vieler Vorgänge als Voraussetzung für eine umfassende „Entbürokratisierung“, die er entschieden vorantreiben möchte. Am liebsten wäre es ihm, wenn für „jedes neue Gesetz, zwei alte außer Kraft“ treten würden. Das Gespräch endet nach 60 Minuten, da er zu seiner letzten BVV-Sitzung nach Reinickendorf muss. 

Auf dem Weg zum Ausgang passiert er in ein paar Metern Entfernung Friedrich Merz (CDU) und Markus Söder (CSU), die sich für ihren Presseauftritt zur Verkündung der CDU-SPD-Koalition sammeln. Noch nimmt keiner Notiz von Schulz. Er ist erst am Anfang.

Bertram Schwarz

Meine erste journalistische Station war die Schülerzeitung meiner Schule, später war ich für verschiedene Zeitungen und Rundfunkanstalten als freier Mitarbeiter tätig, nach dem Studium als politischer Redakteur beim NDR und später als Geschäftsführer verschiedener Medienfirmen. Seit 2019 arbeite ich als freier Autor für die RAZ.