RAZ. Ein Begriff. Zwei Medien.

Mann mit Protesttransparent
Manfred Moslehner vor seinem Haus. Hier lebt er seit 84 Jahren. (Foto: fle)

Rausschmiss in Raten nach 84 Jahren

Manfred Moslehner soll sein Häuschen in der Siedlung am Steinberg wieder einmal verlassen

Tegel – Und wieder einmal soll er raus: Manfred Moslehner, von allen nur „Manne“ genannt, hatte wieder eine schlaflose Nacht und bangt wieder einmal darum, in seinem Zuhause bleiben zu können. Einem Zuhause, in dem er sogar geboren wurde. „Hier oben, hinter dem Fenster, wurde ich am 2. Oktober 1939 geboren. Ich will nicht raus, sondern hier meinen Lebensabend in Ruhe verbringen“, sagt er müde.

In Zeiten knappen Wohnraums und urbaner Verdrängung geschehen immer empathielosere Dinge in Berlin. Und auch Reinickendorf bleibt davon nicht verschont.

Mehr als eine Dekade in Angst! Angst, das Zuhause zu verlieren, ausziehen zu müssen aus den Wänden, in denen man 30 oder 40 Jahre gelebt hat oder in denen man sogar geboren ist. Das ist der Alltag der Mieter der Siedlung am Steinberg, die auch Kleinkleckersdorf genannt wird. Denn seit die 1920 entstandene denkmalgeschützte Siedlung vom Land Berlin als Teil der GSW im Jahr 2010 an die „Am Steinberg Entwicklungsgesellschaft mbH“ verkauft wurde, weht ein scharfer Wind durch die Straßen. Als „Stonehill Gardens“ sollten die kleinen Häuser in den Straßen Kehrwieder, Am Brunnen, An der Heide und Am Rosensteg nach einer umfassenden Modernisierung verkauft werden – für bis zu einer Million Euro pro Haus. Einige Mieter der insgesamt 38 Häuschen sind bereits ausgezogen, andere mittlerweile verstorben. 20 Häuser sind bereits verkauft. Doch die restlichen Mieter wollen nicht weichen – und widersetzen sich vehement der Verdrängung durch Modernisierung. So auch „Manne“ (Die RAZ berichtete). 

Nachdem am 22. September schon ein Zwangsumzug drohte und ein fremder Mann die Haustürschlüssel von ihm verlangt hatte, ohne sich namentlich vorzustellen, ging es nun am 1. November in die nächste Runde: mit einem  Brief, zugestellt per Gerichtsvollzieher, mit der Aufforderung, bis zum 1. November seine Mietwohnung zu räumen.

Doch an besagtem 1. November war Manne nicht allein: Nachbarn, Freunde, Bekannte und Bezirkspolitiker erklärten sich mit Plakaten und Transparenten solidarisch. „Entmieten verbieten“ stand auf einem Tuch, weiter rechts hielten die Anwesenden Schilder mit der Aufschrift „Solidarität mit Manne“ und ein Transparent mit „Kapital verdrängt uns“ in die Höhe.

Freunde, Nachbarn und Bezirkspolitiker zeigen sich solidarisch. (Foto: fle)

Manne ist nicht der Einzige, der raus soll. Auch Hans-Hartmut Lenz, der in der Straße Kehrwieder 1 lebt, kämpft gemeinsam mit seinen Nachbarn um den Erhalt seines Zuhauses. Der 72-jährige ist Oma Annis Sohn – jener Mietrebellin, die noch mit 95 Jahren den Immobilienprofiteuren erfolgreich Paroli bot und Ende 2016 verstarb. Hans-Hartmut Lenz ist in dieser Wohnung, in dem seine Mutter 65 Jahre gelebt hat, geboren und aufgewachsen. „Dafür gilt es doch zu kämpfen, und unser friedlicher Protest dauert nun schon mehr als 4.500 Tage.“

Auch Manne ist bei den friedlichen Protesten immer dabei: „Wir Moslehners bewohnen diese Wohnung seit fast 100 Jahren, meine Eltern zogen ein, kurz nachdem die Häuser bezugsfertig waren“, sagt er. Nun sitzt er im Wohnzimmer auf seinem Ledersofa und ist deprimiert. „Früher ging ich auf Montage, aber ging nie wirklich von hier fort.“ Dabei sollte er auch nach Russland und Amerika, um Maschinen einzurichten. Aber zu diesen Reisen kam es nie. „Meine Mutter brach sich das Kreuz und ich blieb, um sie zu pflegen.“ 

Nun soll er in eine Ersatzwohnung nach Lichterfelde ziehen, damit seine Wohnung modernisiert werden kann. Doch zieht er einmal aus, kann er wohl nie wieder zurückkehren. Denn danach würde die Miete um weit mehr als 1.000 Euro steigen – und Manne wäre obdachlos. 

Auf der Website von „Stonehill Gardens“, wie die Am Steinberg Entwicklungsgesellschaft mbH die Siedlung nennt, heißt es: „Die restlichen Einheiten bleiben unseren geschätzten Mietern vorbehalten“. Ein Hohn, wenn man bedenkt, wieviel Angst und Unruhe die Inhaber-Gesellschaft bei den zumeist hoch betagten Mietern schürt. „Mit den Menschen hier wird umgegangen wie Dreck, wie Müll“, sagt Lenz.

fle

Astrid Greif