RAZ. Ein Begriff. Zwei Medien.

Ein Raum mit zusammensitzenden Menschen, im Vordergrund steht eine Frau.
Leitet die GESOBAU Nachbarschaftsetage: Christine Döbler im Frühstücksraum, Foto: bs

Reichlich gedeckte Tische zum Frühstück

Teil 3 der Serie „Stadtteilzentren in Reinickendorf“: Die Nachbarschaftsetage im Märkischen Viertel

Märkisches Viertel – Heute ist alles anderes auf der GESOBAU Nachbarschaftsetage im Märkischen Viertel am Wilhelmsruher Damm 124. Normalerweise kommen zum wöchentlichen Frühstück am Donnerstag altbekannte Gesichter an die reichlich gedeckten Tische. Viele der meist älteren Damen kennt die Leiterin Christine Döbler. Aber plötzlich stehen 18 junge Männer aus dem Flüchtlingsheim im nahen Wittenau im Raum und schauen sich suchend um. 

Ihre Begleiterin Marianna Bah klärt auf: „Es sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.“ Viele seien aus Benin, Guinea und Mali, aber auch aus dem arabischen Raum gekommen. Bah erzählt, dass diese jungen Männer nichts zu tun hätten in ihrer Flüchtlingsunterkunft und sie froh sei, sie heute mit dem Frühstücksangebot „aus dem Bett bekommen zu haben“.

Schnell organisiert Döbler mit vielen helfenden Händen weitere Tische und Stühle aus anderen Räumen. Um die neuen Frühstücksgäste zu begrüßen, sind jetzt französische Sprachkenntnisse gefragt. Erstaunlich viele im Raum können neben Marianna Bah Erklärungen zum Frühstück in der Sprache der früheren Kolonialmacht in Westafrika abgeben. Ein paar Minuten später sitzen im vorderen Teil des Raums an einem langen Tisch die männlichen Jugendlichen und im hinteren Teil die meist älteren weiblichen Gäste an kleineren Einzeltischen. Eine Kommunikation zwischen den Tischen findet nicht statt. Döbler sei „etwas erstaunt“ über die große Anzahl der Gäste aus Wittenau, lässt sich aber nicht weiter aus der Ruhe bringen. 

Gerade heute spendiert „Restlos Glücklich“ das Frühstück. Das ist ein gemeinnütziger Bildungsverein, der sich für gesunde Ernährung und gegen Verschwendung von Lebensmitteln einsetzt. „Restlos Glücklich“ ist für den Ansturm gut gerüstet. Doch dann geht das Öl aus, und Zitronen sind auch keine mehr da. Schnell findet sich eine Helferin, die in den nahen Supermarkt einkaufen geht. Improvisation ist gefragt und immer daran denken, „allen auf Augenhöhe zu begegnen“, sagt Döbler. Der Träger der Nachbarschaftsetage ist „Albatros“, eine gemeinnützige Gesellschaft für soziale und gesundheitliche Dienstleistungen. Das Stadtteilzentrum gibt es in dieser Form seit 2017. Döbler ist im Februar 2023 als Leiterin zu dem Team bestehend aus „20 Mitarbeitenden“ gekommen. 

Ursprünglich hat sie Politologie an der Freien Universität studiert und danach in der Veranstaltungsbranche gearbeitet. Seit sieben Jahren widmet sie sich der sozialen Arbeit. Döbler spricht von „Gewalt und Hilflosigkeit“ im Märkischen Viertel. Die Situation sei mit einem „Pulverfass“ zu vergleichen, das „uns um die Ohren fliegen kann“. Sie verweist auf Unruhen in Frankreich in ähnlichen Siedlungen. In einer Mail schreibt sie nach dem eindrucksvollen Gespräch: „Mir wäre noch wichtig, dass auch Betonung findet, wie bunt, vielseitig und auch liebenswürdig unser Märkisches Viertel – trotz mancher Herausforderung – ist.“ Hiermit geschehen. Aber die Probleme bleiben. Auch auf der Nachbarschaftsetage, wo mehrsprachige Beratung in Arabisch, Türkisch, Russisch, Polnisch, Französisch, Griechisch und Englisch angeboten wird. Ihre Ziele seien, „Mut zu machen“ für einen Alltag im Märkischen Viertel und „nachbarschaftliches Leben zu ermöglichen“.

Das vielgestaltige Angebot der Nachbarschaftsetage umfasst auch eine Kleiderbörse, Schachclub, Spielenachmittag und Hausaufgabenbetreuung. Besonders gut werde der Handarbeitskreis angenommen. Daraus entstanden sei aus eigener Initiative die Klöppel-Arbeitsgemeinschaft. Das Team um Christine Döbler heißt weitere Ehrenamtliche jederzeit willkommen. Sie sollten „Zeit und Lust“ mitbringen, „mit Menschen zu arbeiten“. Schmunzelnd schiebt sie hinterher: „Und ein bisschen dickes Fell“. Finanziert wird ihre Nachbarschaftsetage aus Mitteln vom Senat, „in Zusammenarbeit mit dem Bezirk“, wie sie betont. Neben Armut und Maßnahmen gegen die Einsamkeit seien Fragen rund um die Gesundheit wichtig. Im Märkischen Viertel seien die Menschen „kranker als woanders“. Eine „gesunde und günstige Ernährung ist wichtig“. Auch das wolle sie mit dem Nachbarschaftsfrühstück zeigen.

Weitere Informationen und Veranstaltungsangebote:
www.albatrosggmbh.de/de/stadtteilarbeit-und-nachbarschaft/stadtteilzentren/maerkisches-viertel 
Tel. 41 50 85 66 

Bertram Schwarz

Meine erste journalistische Station war die Schülerzeitung meiner Schule, später war ich für verschiedene Zeitungen und Rundfunkanstalten als freier Mitarbeiter tätig, nach dem Studium als politischer Redakteur beim NDR und später als Geschäftsführer verschiedener Medienfirmen. Seit 2019 arbeite ich als freier Autor für die RAZ.