„Ja malen will ich. Bis zur Besinnungslosigkeit. Wie schön ist doch dieses Handwerk“, vertraute Beckmann seinem Tagebuch am Silvestertag 1912 an. 75 Jahre nach dem Tod des Künstlers wird die allen offenstehende digitale Edition der Tagebücher nun endlich vervollständigt. Bis Anfang 2026 werden dann die allerletzten fehlenden Texte lektoriert und online gestellt. Die Bayerische Staatsgemäldesammlungen verwaltet das umfangreichste Archiv aus dem schriftlichen Nachlass und will „ein verlässliches und authentisches Gesamtbild seiner Aufzeichnungen“ präsentieren.
Bei der 1955 erschienenen Buchausgabe hatte die Witwe „gestrichen oder erheblich gekürzt sowie überarbeitend in den Text eingegriffen“ – aus Gründen der „Diskretion“ und zum „Schutz noch lebender Zeitgenoss:innen“. Sie war Beckmanns zweite Frau. Als er Mathilde, die Tochter des „Münchener Malerfürsten“ Friedrich August von Kaulbach und der dänischen Violinistin Frida Scotta, kennenlernte, war er noch mit Minna verheiratet.
Er ließ sich jedoch bald für die 23 Jahre Jüngere scheiden, die von einer Freundin der Familie den Spitznamen Quappi verpasst bekam, den sie auch in ihrer Beziehung mit Beckmann behielt. Während Beckmann seiner ersten Frau zwar das Malen untersagte, aber immerhin noch großmütig ihre Karriere als Opernsängerin akzeptierte, stellte er Quappi vor die Wahl: „Entweder du wirst Geigerin, oder du bleibst bei mir. Beides geht nicht. Ich brauche dich ganz oder gar nicht.“
Fortan stellte sich Quappi in den Dienst ihres Mannes als Partnerin, Muse und spätere Hüterin seines künstlerischen Erbes. Sie selbst starb 1986 in den USA, wohin sie ihrem Mann nach dem gemeinsamen Exil in Amsterdam begleitet hatte. Laut Beckmanns Enkelin Mayen standen sich Minna und Quappi, zumindest was das Andenken an den Maler betraf, nie im Weg und haben „immer an einem Strick gezogen“.
Mit seiner ersten Frau, die Beckmann an der Weimarer Kunsthochschule kennen und lieben gelernt hatte, zog er 1907 nach Hermsdorf. Eine Gedenktafel am Eingang zum Grundstück in der Ringstraße erinnert daran. In jene frühen Jahre bieten die Tagebücher stimmungsvolle Einblicke – wie ein Eintrag vom 26. Dezember 1908: „Nach dem Abendbrot lasen wir jeder in seinem Exemplar von des Knaben Wunderhorn, das wir uns ohne zu wissen, gegenseitig zu Weihnachten geschenkt haben.“
Am Silvestertag erwähnt er einen Spaziergang mit dem ebenfalls in Hermsdorf ansässigen Schriftsteller Gustav Landauer und dessen Frau, der Lyrikerin Hedwig Lachmann: „Schöne Schneestimmung mit viel Zigarettenrauchen und Krachmandelessen“ Später am Tag vertiefte Beckmann sich in Zeitungsberichte über das verheerende Erdbeben in Messina drei Tage zuvor, das er bald darauf zu dem düsteren Gemälde „Der Untergang von Messina“ verarbeitete. Eben darin liegt der Hauptzweck der Veröffentlichung seiner Aufzeichnungen, sie sollen einen Einblick in das Entstehen seiner Werke ermöglichen. Doch ein letztes Geheimnis wird immer bleiben, denn wie Beckmann es formulierte, „sind gewisse letzte Dinge nur durch Kunst an sich auszudrücken, sonst brauchten sie nicht gemalt, geschrieben oder musiziert zu werden.“






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