Ein Grabmal auf Reisen in das Herz Frankreichs

Reinickendorf – Wer auf dem Friedhof Reinickendorf vor der trauernden Mutter steht, die den Kopf ihres toten Sohnes hält, ahnt nicht, wie weit dieses schwere Bronze-Monument schon gereist ist. Das Grabmal mit der faszinierenden Geschichte ist nicht nur ein bildhauerisches Meisterwerk, sondern war auch Teil der Pariser Welt­ausstellung von 1900.

Am 15. April vor 120 Jahren öffnete sie ihre Pforten und wurde bis zu ihrem Abschluss am 12. November mit einer Besucherzahl von 50 Millionen eine der erfolgreichsten Ausstellungen aller Zeiten. Die „Exposition universelle de 1900“ war bereits die fünfte in der französischen Hauptstadt. Das Motto lautete „Bilanz eines Jahrhunderts“, im Fokus standen aber vor allem Neuheiten aus Industrie, Wissenschaft und Kultur. Zu diesem Anlass wurde übrigens auch die erste Metro-Linie in Paris und eine neue Brücke über die Seine eröffnet.

Verschiedene Vorschläge, den Eiffelturm, das Relikt der Pariser Weltausstellung von 1889, mit Zierelementen neu zu gestalten, lehnte Gustave Eiffel ab. Stattdessen erhielt das seinerzeit höchste Bauwerk der Welt einen neuen Anstrich in Orange.

Die als Teil der Ausstellung von Mai bis Oktober ausgetragenen Olympischen Spiele stießen auf wenig Interesse, auch wenn zum ersten Mal Frauen die Teilnahme gestattet war – allerdings gab es nur 22 Sportlerinnen gegenüber rund tausend Sportlern.

Besondere Begeisterung rief beim Publikum das malerische Schweizer Dorf in einer Berglandschaft aus Felsen und Gips hervor. Wer es exotischer mochte, konnte durch eine Straße in Algier schlendern. Bettelnde arabische Straßenjungen sollten dafür sorgen, dass die aufwendige Kulisse umso echter wirkte.

Im Deutschen Pavillon präsentierte sich stolz das aufstrebende Kaiserreich. Als Verbeugung vor den Gastgebern stellte Kaiser Wilhelm II. die französische Kunstsammlung von Friedrich dem Großen aus. Zu den technischen Attraktionen gehörte auch der mit Erdnussöl betriebene Dieselmotor, für den Rudolf Diesel auf der Ausstellung ausgezeichnet wurde.

Einer der zahlreichen deutschen Künstler, die ihr Land in Paris vertraten, war der berühmte Bildhauer Reinhold Begas. Von dem 1831 geborenen Schöneberger stammt unter anderem das Schillerdenkmal am Gendarmenmarkt, der Neptunbrunnen und das Alexander-von-Humboldt-Denkmal vor der Universität Unter den Linden.

Auf der Weltausstellung waren vier seiner Werke zu sehen: ein Liebespaar aus Marmor mit dem Titel „Elektrischer Funke“ und drei Bronzearbeiten, darunter das Mausoleum Strousberg. Der wohlhabende Eisenbahn­unternehmer Bethel Henry Strousberg hatte es für seinen Sohn Arthur in Auftrag gegeben, der 1873 im Alter von 23 Jahren einem Lungenleiden erlegen war. Noch vor der Fertigstellung ging der Unternehmer allerdings bankrott und konnte sich das Grabmal nicht mehr leisten. Begas ließ es daraufhin auf eigene Kosten in Bronze gießen. Auf der Weltausstellung wurde er dafür mit einer Auszeichnung belohnt. Nach dem Tod des Künstlers 1911 erwarb Berlin das Monument und stellte es – ohne Verweis auf Arthur Strousberg, der in Schöneberg begraben liegt – auf dem Friedhof Reinickendorf als „Stätte der Andacht“ auf. 1928 wurde das Kunstwerk, das hier seine Heimat fand, überdacht.

Boris Dammer

Foto: wikimedia

Inka Thaysen

Ursprünglich beim Radio journalistisch ausgebildet, bin ich seit Ende 2018 für den RAZ Verlag tätig: mit redaktionellen sowie projektkoordinativen Aufgaben für print, online, Social Media und den PR-Bereich.