„Wir hoffen auf ein grünes Wunder“

Aktion am 10. August gegen den Abriss der Kleingärten für Gesobau-Wohnungen

Reinickendorf – Ein Eichhörnchen huscht über den kleinen Weg und verschwindet im dichten Grün einer Buche. Im Garten nebenan checkt Lieselotte Kuhlmann (Foto) ihr Gemüsebeet. „Die Tomaten sind noch nicht reif, aber von den Gurken kann ich einige ernten“, sagt die 92-Jährige, die alle nur unter dem Namen „Mulle“ kennen. Ein paar Gärten weiter sitzt die Familie von Anna Hübner mit ihrem Nachbarn Detlef Bretzke samt Frau beim Kaffee. Ein Stückchen weiter ist Jutta Wittig am Unkraut-Zupfen. 

Alles scheint wie immer. Doch der Schein trügt – das Schicksal des vorderen Bereichs der Gartengemeinschaft Pankower Allee e.V. ist längst besiegelt: Am 30. September müssen die Besitzer von 22 Parzellen ihre kleinen grünen Paradiese verlassen. Dann werden die Bagger kommen. um neuen Wohnraum zu schaffen. Und da das Grundstück der Gesobau gehört, haben die Kleingärtner keine Chance, ihre Parzellen zu retten.

„Es sind dort 112 Wohnungen geplant – 50 Prozent davon gefördert“, erklärt Birte Jessen, Pressesprecherin der Gesobau sowie Leiterin Unternehmenskommunikation und Marketing. „Und wie in vielen unserer Neubauvorhaben planen wir auch in diesem Projekt dringend benötigte Flächen für soziale Infrastruktur mit – hier sind es eine Kita und ein Quartierstreff. Der Baubeginn ist für 2025, die Fertigstellung ist für 2027 geplant.“

Helen Maruhn, Referentin der Bezirksstadträtin der Abteilung Stadtentwicklung, fügt hinzu: „Das Bauvorhaben wurde in Absprache mit dem Bezirk so konzipiert, dass dennoch möglichst viele kleingärtnerisch genutzte Parzellen erhalten werden können. Demzufolge wurde eine Befreiung für fünf Geschosse anstelle der zulässigen drei Geschosse bei gleichzeitiger geringerer Flächeninanspruchnahme erteilt.“ 

Der Wohnraum ist in Berlin dringend notwendig, keine Frage. Doch auch der Erhalt von Grünflächen – vor allem im dicht besiedelten Ortsteil Reinickendorf. Doch vor dem Hintergrund, der Klimaerwärmung entgegenzuwirken und der Entwicklung Berlins zu einer klimaneutralen Stadt spätestens bis zum Jahr 2045, muss eigentlich ver- statt entsiegelt werden.Die Gartengemeinschaft Pankower Allee e.V. existiert seit 92 Jahren. Sie wurde 1932 für BVG-Mitarbeiter errichtet, die nach ihrer Dienstzeit dort ihren wohlverdienten Ruhestand genießen sollten.  

Doch bei der Gartengemeinschaft handelt es sich nicht um Kleingärten nach dem Bundeskleingartengesetz. Bestandsschutz hatten die Gärten nur bis 2017 – und genau das ist nun das Problem. 

Als die Laubenpieper die Hiobsbotschaft 2020 erhielten, kämpften sie für den Erhalt ihrer Gärten mit einer Petition und Unterschriftenlisten – vergebens. Nur die  Galgenfrist wurde verlängert.  „Seit 57 Jahren ist der Garten mein zweites Zuhause. Mein erstes Zuhause ist dort drüben“, sagt Mulle und zeigt auf das nahe Gebäude. „Nun schaue ich vom Balkon auf dieses grüne Paradies – doch schon bald auf eine Baugrube und später auf eine graue Häuserwand“, sagt sie verzweifelt. „Sollen sie doch die vielen Bürogebäude umwidmen – die stehen eh zum Großteil leer.“ 

„Wo sollen die Tiere hin?“, fragt eine Laubenpieperin. „Es gibt keinen anderen Lebensraum in dieser Gegend für sie.“ Birte Jessen antwortet darauf: „Derzeit wird ein artenschutzrechtlicher Fachbeitrag erstellt, und gegebenenfalls daraus abzuleitende Maßnahmen werden mit dem Umweltamt von Reinickendorf abgestimmt und umgesetzt“. Auch Maruhn erklärt: „Im Rahmen des weiteren Planungsprozesses werden die Belange des Artenschutzes gemäß der gesetzlichen Vorgaben entsprechend gewürdigt und berücksichtigt.“ 

Sie betont: „Die betroffenen Grünflächen werden derzeit lediglich von rund 22 Pächtern genutzt.“ Doch die Kleingärtner sind angesichts dieser Zahl empört: Nicht nur der Pächter, der seine Unterschrift unter den Pachtvertrag gesetzt hat, sondern ganze Familien, Omas, Kinder und Enkel würden die Gärten nutzen. Und die Tiere, die jetzt hier wohnen, würden getötet, wenn die Bagger kommen. 

Eines der letzten gemeinsamen Kaffeekränzchen. Fotos: fle

Bislang sind „nur“ 7.000 der 23.066 Quadratmeter großen Fläche betroffen – 22 von 86 Parzellen. Was mit dem Rest passiert, ist noch nicht klar. Bis 2030 dürfen die Gärtner dort bleiben, ob die Gesobau das Grundstück dannauch in Anspruch nimmt, soll sich erst dann entscheiden.

Auch Norbert Raeder, ehemaliger Inhaber des Kastanienwäldchens an der Resi, will sich mit dem Abriss der Gärten nicht abfinden. Bereits im Frühjahr 2023 hatte er eine Aktion organisiert, um auf die Situation aufmerksam zu machen. Und auch jetzt kämpft er für den Erhalt der Gärten. „Nicht dass man mich falsch versteht – Wohnraum ist wichtig. Jedoch dafür den Lebensraum von Millionen Reinickendorfer Insekten sowie kleineren und größeren Lebewesen durch den Bau von Stahl- und Betonklötzen zu zerstören, kann in Zeiten des Klimawandels nicht das erklärte wirkliche Ziel sein.“  

Und deshalb organisiert er eine Aktion gegen den Abriss der Gärten: „Alle Klima-Kleber und Berliner, die die Natur erhalten wollen, können am 10. August von 11 bis 13 Uhr an der Kolonie in der Pankower Allee ein Zeichen setzen.“

Christiane Flechtner

Christiane Flechtner ist seit mehr als 30 Jahren als Journalistin und Fotografin in Reinickendorf und auf der ganzen Welt unterwegs. Nach 20 Jahren bei der Lokalzeitung Nord-Berliner ist sie seit der ersten Ausgabe mit im Team der Reinickendorfer Allgemeinen Zeitung und anderer Verlagsmedien. Sie arbeitet außerdem als freie Journalistin und Fotografin bei „Welt“, Berliner Zeitung und anderen Zeitungen in Deutschland, Österreich und Luxemburg sowie für u. a. Reise-, Wander- und Tiermagazine.