Eine Innenaufnahme des Ankunftszentrums Tegel. Im Vordergrund ein Schild mit einer Willkommensbotschaft in verschiedenen Sprachen, im Hintergrund ein Empfangstresen mit Menschen.
Fofo: fle

Wohin mit den Geflüchteten?

Zustände im größten Ankunftszentrum Deutschlands sind teilweise unhaltbar

Nahezu täglich erreichen uns Nachrichten, dass Russland zivile Infrastruktur in der -Ukraine bombardiert. Gerade vor dem Einbruch der Winterzeit könnte das eine neue Flüchtlingswelle auslösen. Viele Menschen aus der -Ukraine sind in den vergangenen zweieinhalb Jahren seit dem Überfall Russlands auf das Nachbarland nach Deutschland und auch nach Reinickendorf gekommen. Auf dem ehemaligen Flughafen Tegel steht das größte Ankunftszentrum Deutschlands für diese Flüchtlinge. Es wurde – entgegen ursprünglichen Plänen – immer weiter ausgebaut. Die Zustände dort sind teilweise unhaltbar (die RAZ berichtete) und werden immer wieder kritisiert. 

Zurzeit halten sich etwa 5.000 Flüchtlinge in der Zeltstadt auf. Die meisten kommen aus der Ukraine. Offiziell werden diese Unterkünfte als „Leichtbauhallen“ bezeichnet, sind jedoch nicht viel mehr als Metallgerüste mit Planen. Ein weiteres Ankunftszentrum mit etwa 1.200 Asylsuchenden wird auf dem Gelände der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik betrieben. 

Seit einiger Zeit wehrt sich Bezirksbürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner (CDU) vehement gegen immer weitere Neuzuweisungen von Flüchtlingen nach Reinickendorf. Bereits im November 2023 warnte sie: „Uns fliegt hier über kurz oder lang in einigen Ortsteilen der Bezirk um die Ohren.“ Reinickendorf sei „bald berlinweit an der Spitze in der Unterbringung für Geflüchtete“. 

Im Frühjahr beklagte sie sich über nicht koordinierte Pläne des Senats, weitere Flüchtlingsunterkünfte in Reinickendorf zu bauen. Im aktuellen Interview mit der RAZ sagt sie, dass sie „trotz mehrfacher Nachfragen“ keine Informationen über „weitere Umsetzungspläne“ von Seiten des Senats bekommen habe. Eine Prognose für den kommenden Winter sei „kaum möglich“, jedoch „steigen die Zahlen Neuankommender zum Winter tatsächlich häufig an“. 

Ihr Stellvertreter im Amt der Bezirksbürgermeisterin ist Uwe Brockhausen (SPD), der als Stadtrat für Soziales und Gesundheit für einige Aspekte des Flüchtlingsgeschehens zuständig ist. Auch er hält die Situation in den „Massenunterkünften“ im Bezirk für „hochproblematisch“. Vor allen Dingen für Tegel konstatiert er, dass der „Abfluss nicht mehr funktioniere“ und Geflüchtete dort oft „mehr als zehn Monate“ unterkommen müssten.

Wohnungen für „die Zeit nach dem Ankunftszentrum“ fehlen

Wohnraum für die Zeit nach dem Ankunftszentrum, wo sich die Flüchtlinge eigentlich nur kurze Zeit aufhalten sollten, sei einfach nicht vorhanden. Hier meldet sich Reinickendorfs Amtsarzt Patrick Larscheid mit einer Idee zu Wort, die an den Anfang des Ukraine-Kriegs erinnert, als es eine große Welle der Hilfs- und Aufnahmebereitschaft für die Menschen aus dem osteuropäischen Land gab. 

Uwe Brockhausen und Patrick Larscheid
Stadtrat Uwe Brockhausen (l.) und Amtsarzt Patrick Larscheid sprachen mit der RAZ über die Unterbringung von Flüchtlingen im Bezirk. Foto: bs

Im Gespräch mit Uwe Brockhausen und der RAZ führt er die enormen Kosten der Unterbringung von Flüchtlingen in den Ankunftszentren an und schlägt eine Initiative vor, der es privaten Immobilienbesitzern ermöglicht, Wohnraum auf einer speziellen Plattform im Bezirk Geflüchteten anzubieten. Das wäre für den Staat weitaus preiswerter und würde die Integration fördern. 

Uwe Brockhausen weist sofort auf die allgemein angespannte Situation in Berlin auf dem Wohnungsmarkt hin und warnt vor „Träumereien“. Larscheid bleibt bei seiner Idee und will sie „außerhalb der Behördenstruktur“ anbieten. Er verstehe sie als einen Vorschlag aus der „Zivilgesellschaft“. Er sei dazu als Bürger ansprechbar, nicht in seiner Funktion als Amtsarzt.

Dirk Wohltorf kennt als Makler in Reinickendorf den Wohnungsmarkt genau. Zudem ist er seit 2023 der Präsident des IVD (Immobilienverband Deutschland). Angesprochen auf die Idee von Larscheid äußert er sich zunächst skeptisch. Er sieht mehr eine Chance in der Unterbringung von Flüchtlingen in Privathäusern. Aus der fast euphorischen Anfangszeit kenne er gute und schlechte Beispiele. Dann müsste zunächst aber das „Zweckentfremdungsverbotsgesetz“ geändert werden. Das hört sich gleich nach einem Moloch der Bürokratie an. Wohltorf lenkt ein und betont die Hilfsbereitschaft in Reinickendorf: Patrick Larscheid könne ihn gern einmal anrufen. 

Bertram Schwarz

Meine erste journalistische Station war die Schülerzeitung meiner Schule, später war ich für verschiedene Zeitungen und Rundfunkanstalten als freier Mitarbeiter tätig, nach dem Studium als politischer Redakteur beim NDR und später als Geschäftsführer verschiedener Medienfirmen. Seit 2019 arbeite ich als freier Autor für die RAZ.