Betritt man das Restaurant des Ruder-Clubs Tegel an der Gabrielenstraße, merkt man gleich, dass hier ein frischer Wind weht. Naja, es ist eher ein Duft, den es in den letzten Jahren im RCT-Vereinsheim nicht mehr gab. In einer Vereinsgaststätte rechnet man ja eher damit, dass einem der Geruch von Buletten und Pommes Frites oder Ähnlichem in die Nase steigt, aber beim Besuch des RAZ Magazins duftet es hier wie früher, als Thomas und Phakaphan Stiebitzky von 2008 bis 2018 das Restaurant betrieb, nach frisch gekochtem Jasmin-Reis. Nun setzt Tina Koko als neue Pächterin der Clubgastronomie neben deutscher Küche, die nach wie vor angeboten wird, mit thailändischen Gerichten zusätzliche kulinarische Akzente.
Eine neue Pächterin mit langer Tradition
Die Gastronomie lag seit Jahresbeginn brach, der ehemalige Pächter hatte sich zurückgezogen. Der Verein war fieberhaft auf der Suche nach einem Nachfolger. Nach vielen Gesprächen mit mehreren Interessenten fiel die Wahl schließlich auf Tina Koko. Sie kommt aus einer Gastronomenfamilie, ihre Eltern betrieben einst das „Gasthaus und Logis zur U-Bahn“ in Alt-Tegel, das dann zum Haxenhaus wurde, sowie zwei Gaststätten in Heiligensee. Der Vater war Deutscher, die Mutter ist Thailänderin – und Mama Anong sorgt auch gerade in der Küche für das angenehme Aroma, das durch das Restaurant strömt.
Erste Eindrücke und große Pläne
„Ich bin im Internet auf das Objekt gestoßen – und ich habe mich sofort verliebt“, sagt Tina. Eben hatte sie noch ein Gespräch wegen einer großen Feier im März, da musste einiges im Vorfeld abgesprochen werden. Ein paar Tage später beim traditionellen Heringsachter ging noch einmal richtig die Post ab. „Ruderer sind wirklich herzlich, wohlwollend und lieb“, sagte sie am Tag darauf. „Und Sport und Essen waren schon immer eine tolle Verbindung.“
Ein Familienprojekt mit Zukunft
Ansonsten aber ist in der Wintersaison wenig los, auch deshalb ist zurzeit nur an zwei Tagen in der Woche, mittwochs von 16 bis 22 Uhr und sonntags von 10 bis 14 Uhr, für die Mitglieder geöffnet. Neben ihrer Mutter hilft auch ihre jüngere Schwester Jenny tatkräftig mit, sie übernimmt den Tresendienst. Wenn im nächsten Frühjahr die neue Saison mit dem Anrudern Fahrt aufnimmt, soll das Team noch erweitert werden. Jetzt an diesem frühen Mittwochabend schaut gerade Klaus-Dieter Nimschek, der langjährige frühere Pressewart des RC Tegel, rein, trifft sich mit ein paar Ruderkameraden auf ein Bierchen. Oder zwei.
Ein Lebenskreis schließt sich
„Mein vor vier Jahren verstorbener Papa war 40, als er in die Gastronomie eingestiegen ist. Jetzt bin ich auch 40, so schließt sich ein Kreis des Lebens“, erzählt Tina. „Ich habe es als Kind geliebt, zu meinem Papa in die Küche zu gehen und ihm bei der Arbeit zuzuschauen. Die Gastronomie hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin.“ Der Vereinsvorstand ist mit seiner Wahl hochzufrieden: „Wir sind überzeugt, dass Tina Koko eine echte Bereicherung für unseren Ruderverein sein wird und freuen uns darauf, gemeinsam mit ihr einen neuen Zeitabschnitt im Ruder-Club Tegel zu beginnen“, teilte Vereinschef Friedemann Berg auf der Homepage mit.
Eine schwere Zeit hinter sich
Tina hatte eine behütete Kindheit, als Erwachsene gründete sie eine Werbefirma. Ihr Leben verlief in geregelten Bahnen. Bis zum Abend des 13. Oktober 2012. In jener Nacht geriet ihr Bruder Jonny am Alexanderplatz mit drei Freunden mit einer Gruppe von sechs Jugendlichen mit Migrationshintergrund aneinander. Es gab eine Schlägerei, Jonny K. verstarb nach Fußtritten an den Kopf am nächsten Tag infolge eines Blutgerinnsels im Gehirn. Im Alter von gerade mal 20 Jahren. Der Fall machte deutschlandweit Schlagzeilen und stieß Diskussionen über Jugendgewalt und Ausländerkriminalität an. „Mein kleiner Bruder war meine große Liebe, ich habe unglaublich viel Zeit mit ihm verbracht. Er war so ein friedlicher, ruhiger und aufrichtiger Mensch“, sagt Tina zwölf Jahre später.
Engagement gegen Gewalt und Ausgrenzung
Jonnys Tod war für sie der „Wake-Up-Call, dass in unserer Gesellschaft einiges total schief läuft.“ Die damals 28-Jährige erlangte bundesweite Bekanntheit, sie war Gast in den Talkshows von Anne Will, Maybrit Illner und noch einigen Sendungen mehr. Und sie gründete den Verein „I am Jonny e.V.“, der sich gegen jede Ausgrenzung insbesondere unter Jugendlichen wendet. Die junge Frau ging in Schulen, hielt Vorträge über Jugendgewalt und Gewaltprävention, veranstaltete Workshops über Zivilcourage. Alles ehrenamtlich, Tina stieß finanziell an ihre Grenzen. „Das war mir egal, das war eine Sache des Herzens. Ich wollte mit dem schrecklichen Tod meines Bruders auch kein Geld machen“, sagt sie.
Auszeichnungen und ein bleibendes Erbe
Für ihr Engagement wurde Tina mit dem Medienpreis „Bambi“ und dem Verdienstorden des Landes Berlin ausgezeichnet. Am 14. Oktober 2013, Jonnys erstem Todestag, enthüllte sie zusammen mit dem damaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit eine Gedenkplatte am Tatort. In Staaken entsteht gerade auf 60.000 Quadratmetern der „Jonny-K.-Aktivpark“ mit einem Multicourt für mehrere Ballsportarten, einer Calisthenics-Anlage, Trampolinen und Tischtennisplatten sowie einem Parktheater als Open-Air-Veranstaltungsort, einem Kletterparcours, Wippen und weiteren Spielelementen.
Neustart am Tegeler See
Und nun hat im Clubrestaurant des RC Tegel ein neuer Lebensabschnitt für die Mutter eines siebenjährigen Sohnes begonnen. Tina Koko freut sich auf die nächsten Jahre: „Das ist eine kleine gemütliche Bubble mit großartigen Menschen.“