Als am 24. Mai im proppenvollen Berliner Olympiastadion der Schiedsrichter Christian Dingert das 82. DFB-Pokalfinale zwischen Arminia Bielefeld und dem VfB Stuttgart anpfiff, könnte Peter Gabor eine kleine Zeitreise im Kopf gemacht haben. Vielleicht hat er an den Frühsommer1987 gedacht, als er das Endspiel zwischen dem Hamburger SV und den Stuttgarter Kickers leitete. „Das war ein Highlight in meiner Laufbahn“, sagt Gabor, der im April seinen 85. Geburtstag feierte. Und eins muss man sagen: Die Schiedsrichterei scheint jung zu halten, bei Peter Gabor jedenfalls ist das so. Schon lange ist der gebürtige Wilmersdorfer im Norden heimisch, seit acht Jahren wohnt er mit seiner Frau Bärbel auf der Humboldt-Insel in Tegel. Von da hat er es nicht weit zu den Redaktionsräumen des RAZ Magazins, dem er kürzlich einen Besuch abstattete.
Ein trefflicher Anlass, mal seine Karriere Revue passieren zu lassen. Natürlich fing auch der kleine Peter als Fußballer an – beim Berliner SV 92, dem wegen seiner roten Stutzen, den schwarzen Hosen und den weißen Hemden in Fußball-Berlin der Spitzname „Störche“ verpasst wurde. Dem Verein gehört er auch heute noch als Mitglied an, wenn auch die Bindungen weniger wurden. Als „übersichtlich“ bezeichnet Gabor seine Qualitäten als Kicker, der damalige BSV-Jugendwart Walter Engler meldete ihn zu einem Schiedsrichter-Lehrgang an. Den absolvierte der damals 18-Jährige beim einstigen FIFA-Schiedsrichter Werner Treichel – und dann ging alles ziemlich schnell. Gabor bewies Talent an der Trillerpfeife, innerhalb weniger Jahre zählte er zur Berliner Spitze.

„Ich habe das Spiel des 1. FC Neukölln gegen Hertha BSC gepfiffen, der Hertzbergplatz platzte aus allen Nähten“, erzählt er. „Es fing klein an, aber mit dem Erfolg kam der Hunger auf größere Spiele und ich wollte schwere Spiele vor vielen Zuschauern meistern.“ Am 7. Juni1969 war es dann mit dem ersten Spiel in der Bundesliga zwischen dem MSV Duisburg und dem Hamburger SV (0:0) im alten Wedau-Stadion soweit. 157 weitere Spiele in der Bundesliga sollten folgen. Eine famose Bilanz – schließlich bekam ein Bundesliga-SR in den 1970er und 80er Jahren im Durchschnitt nur acht Spiele einer Saison. Zum letzten Mal amtierte Peter Gabor am 10. Mai 1988 bei der Partie Bayer 04 Leverkusen gegen den VfB Stuttgart.
Können Bundesliga-Schiris mit einem jährlichen Grundgehalt von 60.000 Euro heute davon gut leben, so erhielt Gabor in den ersten Jahren in der Bundesliga gerade mal 60 Mark pro Spiel. Seine Brötchen verdiente er bei Schering, in der Produktionsplanung für Salben und Crèmes. Aber seine Liebe gehörte natürlich neben seiner Bärbel dem Fußball und der Schiedsrichterei. „Das Amt kann sehr schön sein, weil es die Persönlichkeit formt. Das ist eine Schule fürs Leben, ohne die Erfahrungen als Schiedsrichter wäre ich nicht der, der ich heute bin.“ Sein Erfolgsrezept auf dem Platz: „Man darf nie versuchen, Macht auszuüben. Wenn man das tut, ist man zum Scheitern verurteilt.“
Natürlich gab es auch nicht nur Positives. 1973 beispielsweise flog in Hannover nach einem Feldverweis gegen den Spieler Willi Reimann eine Bierdose gegen Peter Gabor. Und der Präsident des VfB Stuttgart, Gerhard Mayer-Vorfelder, wollte Gabor nach einem Spiel gegen den 1. FC Köln sogar mal „einsperren lassen“. „Es gab in der hektischen Partie viele komplizierte Situationen, aber wie sich nachher herausstellte, habe ich fast alles zu 100 Prozent richtig entschieden“, sagt Gabor. „Ich habe immer das getan, was ich für richtig halte. Aber eins ist doch auch klar: Fehler passieren, und da würde ich mir wünschen, dass Fehler der Schiedsrichter ähnlich bewertet werden wie die von Spielern.“
Vom VAR, also von der Video-Assistenz, ist Gabor nicht überzeugt: „Die Torlinientechnik finde ich gut, auch bei knappen Abseitsentscheidungen kann die Technik helfen. Aber oft greift der VAR ein, wo es nicht nötig wäre. Da wird teilweise zu viel nachgekuckt.“ Dass es im EM-Halbfinale zwischen Deutschland und Spanien beim Handspiel des Spaniers Cucurella keinen Elfmeter gab? Gabor: „Das war ein Totalversagen des Schiedsrichtergepanns und des VAR.“
Bereits früh hatte Peter Gabor auch Funktionen innerhalb der SR-Organisation inne. 22 Jahre seit 1967 war er Vorsitzender der Lehrgemeinschaft Charlottenburg, dann wurde er Vorsitzender des Verbandsschiedsrichterausschusses im Westteil der Stadt.Schließlich führte er mit weiteren Mitstreitern nach der Wende die beiden SR-Organisationen aus West und Ost zusammen. 1991 wurde zum Vorsitzenden des ersten Gesamt-Berliner SRA gewählt, das Amt übte er bis 1998 aus. Neben den Berliner Aufgaben war er bis 2008 Mitglied des DFB-SR-Lehrstabs und Beobachter bis in die Bundesliga. Und allen deutschen Schiris war mindestens das Porträt von Peter aus den Regelfragen in der Schiedsrichterzeitung bekannt. „Ich war der Regelpapst“, lacht Gabor.

Bei der WM 2006 kümmerte er sich um die in Berlin weilenden auswärtigen Schiedsrichterteams. Und die Ausbildung des pfeifenden Nachwuchses lag ihm am Herzen. Einer seiner „Zöglinge“ war Robert Hoyzer, der später Spiele manipulierte und damit für den größten Schiri-Skandal innerhalb des DFB sorgte. „Ich kannte Robert ja gut, das war ein talentierter Schiedsrichter, der es weit gebracht hätte. Was er gemacht hat, war für mich eine Riesenenttäuschung. Aber immerhin ist danach viel passiert und wurde das Schiedsrichterwesen professionalisiert.“
Gabors Hochachtung gilt vor allem den vielen Referees in den unteren Klassen, die sich für ein paar Euro Aufwandsentschädigung Sonntag für Sonntag beschimpfen lassen. „Was da manchmal passiert, ist teilweise unerträglich“, sagt Gabor. „Aber das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das sich auf den Plätzen ausdrückt. Wir müssen erwarten, dass Vereine und Trainer mehr dafür tun, dass sich die Verhältnisse wieder bessern.“